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Lou

Liebschaften

 

Liebeleien

Lou und Victor Tausk

Während sich Lou im Wintersemester 1912-13 für sechs Monate in Wien aufhielt, um von Sigmund Freud und seiner Gruppe die Tiefenpsychologie (die Theorie und Praxis der Psychoanalyse) zu lernen, bemühten sich mehrere jüngere Herren der Gruppe gleichzeitig, ihre Liebe zu gewinnen. TauskEindeutig gelungen ist es Victor Tausk (1879-1919). Er war in Kroatien geboren, hatte Jura studiert und war Richter geworden. Aber er hatte dann den Beruf gewechselt und hatte eine Zeitlang als Journalist in Berlin und Wien gearbeitet. Hier war er Sigmund Freud und seiner Tiefenpsychologie begegnet und hatte, ebenso wie Lou, aufgrund seiner persönlichen Probleme sich zum Erlernen dieser Psychologie entschlossen, um sein eigenes Leben zu verstehen und zu meistern. Er war verheiratet und hatte zwei Kinder. Aber seine Ehe war nicht glücklich und endete mit Scheidung. Als er Lou kennenlernte, stand er kurz vor dem Abschluss seines Medizinstudiums. Lou war knapp 52 Jahre alt, er war  33, also fast neunzehn Jahre jünger als sie. Hochgewachsen und gutaussehend, gefiel er Lou so sehr, dass sie - so wird es erzählt - ihn sogar ihrer eigenen Freundin Ellen Delp, einer Schauspielerin, durch eine Lüge weggeschnappt haben soll.

Tausk war einer der Diskussionsleiter in den Freudschen Kolloquien und Seminaren. Lou fand Gefallen an seinen Gedanken und Vorträgen und an seiner Interpretation der Freudschen Theorie, weil sie in gewissen Punkten eine ähnliche Einstellung zu den Dingen hatten und sie auch insbesondere manchmal im Lichte der Philosophie von Spinoza sahen, eine Affinität, die sie einte. Anfangs sahen sie sich nur bei den Veranstaltungen, bald jedoch kamen sie einander näher. Lou ergriff die Initiative und arrangierte das erste Treffen. Sie lernte auch seine beiden Söhne kennen (damals: neun und elf Jahre alt), zu denen sie eine gute Beziehung entwickelte. Ihr Kontakt wurde immer enger. Sie sahen sich jetzt täglich. Sie hatten die neue Kunst der Kinematographie ("das Kino") entdeckt. Darüber hinaus arbeiteten sie auch wissenschaftlich zusammen. Tausk nahm sie fast täglich mit in die neurologische Klinik, in der er angestellt war. So konnten sie sich über schwierige Fälle zusammen den Kopf zerbrechen.

Tausk war psychisch labil und schleppte aus seiner Vergangenheit viele Probleme mit, die zu seinem Unglücklichsein beitrugen. Lou beschäftigte sich interessiert und liebevoll mittels der Tiefenpsychologie mit seinen Problemen. Sie führte bei ihm Analysen durch. Denn alles im Leben wurde ab diesem Wiener Studiensemester 1912-13 nur noch psychoanalytisch gesehen, auch die Kunst und Kultur, die Philosophie und die Religion - ja selbst Lous einst geliebter Rilke und seine Gedichte. Allmählich erkannte sie aber, dass sie durch ihre Psychologie Tausk nicht helfen konnte. Sie löste die Beziehung im Herbst 1913. Der Geliebte konnte diese abrupte, rational wirkende Entscheidung nur als Herzlosigkeit empfinden, worüber er sich noch Jahre später beklagt hat. Es war ihm unmöglich, ihr abruptes Verhalten zu verstehen und die Hoffnung aufzugeben, dass sie bei ihm bleiben, ihm helfen werde. Das aber war für Lou sein eigenes Problem. Sie ließ sich durch seinen Appell an die Treue nicht beeindrucken, denn sie hatte über die Treue und Untreue ihre eigene, feste Meinung. Eine Frau, die sich von einem Mann trenne, und sich für einen neuen, anderen entscheide, beweise nicht Untreue, sondern im Gegenteil, Treue zu sich selbst.

Lou kehrte nach Göttingen zu ihrem Mann zurück. Um seine Verzweiflung zu ertragen, stürzte sich Tausk in die Arbeit, schloss sein Studium ab und wurde später ein Nervenarzt. Im ersten Weltkrieg war er Chefarzt in einem Lazarett. Nach dem Krieg kehrte er nach Wien zurück. Er verlobte sich und wollte 1919 zum zweiten Male heiraten. Doch eine Woche vor der Hochzeit beging er Selbstmord. Die Nachricht hat Lou erschüttert, aber primär nicht deshalb, weil sie etwa Schuldgefühle hatte, sondern weil ihr das Tragische in seinem Leben naheging.