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Lou

Liebschaften

 

Liebeleien

Lou und Georg Ledebour

Etwa um die Weihnachtszeit 1891 kehren eines Abends die dreißigjährige Lou und der elf Jahre ältere Sozialdemokrat Georg Ledebour, den sie erst seit dem Herbst kennt, von einer politischen Diskussionsveranstaltung zurück. Ledebour weiß, dass Lou seit vier Jahren verheiratet ist und kennt auch ihren Ehemann. Dennoch erklärt er ihr auf dem Wege seine Liebe und frappiert sie mit der Bemerkung, dass sie trotz ihrer Ehe ja keine Frau, sondern ein Mädchen sei. Lou ist zutiefst erschrocken "über dieses unvorstellbare Wissen" [Lebensrückblick, S. 208]. Sie erliegt schließlich seiner Liebeserklärung, weil sie selbst ähnliche Gefühle empfindet oder noch entwickeln wird. Doch wer ist dieser Mann, der das Unvorstellbare weiß? Georg LedebourGeorg Ledebour (1850-1947) ist als Sohn eines Beamten in Hannover geboren. Er wurde widerwillig Kaufmann, da er wegen fehlender finanzieller Möglichkeiten nicht seinem Wunsch gemäß Jura studieren konnte. An dem Krieg von 1870 nahm er als Sanitäter teil. Danach begann er, sich als Journalist zu betätigen. Zunächst tat er es einige Jahre in England. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland schloss er sich den Sozialdemokraten an und wurde 1900 Mitglied des Reichstags. Außerhalb des Parlaments leistete er politische Arbeit in dem Milieu der Arbeiter, indem er für sie an Abenden Diskussionsrunden veranstaltete. Im Zusammenhang mit diesem Interesse für Unterprivilegierte hatte er auch Kontakt zu dem Berliner Freundeskreis der Freien Volksbühne und des literarischen Naturalismus (→ Berlin). Wohl an einem der Treffen dieses Kreises muss er in Begleitung ihres Mannes Lou begegnet sein.

Es war im Herbst 1891. Georg Ledebour hatte gerade eine Gefängnisstrafe abgesessen, zu der er als ein glänzender Redner im Reichstag wegen Majestätsbeleidigung verurteilt worden war. Bei einem Treffen wahrscheinlich des genannten Kreises der Literatur- und Kunstfreunde in diesem Herbst bemerkt Lou eines Tages, dass er ihre Hände sehr genau beobachtet. Er fragt sie dann, warum sie keinen Ehering trage. Lou redet sich mit der Bemerkung heraus, dass sie und ihr Ehemann damals vergessen hätten, Ringe zu besorgen. Im Verlaufe der nächsten Zeit befreunden sie sich, so dass Lou ihn manchmal zu seinen politischen Diskussionsabenden mit den Arbeitern begleitet. Auf dem Rückweg von einer solchen Veranstaltung um die Weihnachtszeit 1891 kommt es zu seiner Liebeserklärung. Er will sie aus ihrer Ehe lösen und sie heiraten, weil er ihre Ehe für eine Farce hält. Lou ist sich ihrer eigenen Gefühle ihm gegenüber angeblich nicht sicher. Aber eine echte, verzweifelt-tragische Liebesbeziehung entwickelt sich dennoch aus dem Vorfall. Sie bittet ihren Mann um die Scheidung, jedoch vergeblich. "Die Aufregungszustände meines Mannes, der nicht blind blieb und dennoch Blindheit vorzog, indem er den Anderen nur niederstechen, nicht aber sprechen wollte, beherrschten allein das Situationsbild" [Lebensrückblick, S. 209]. Qualvolle Tage und Nächte musste das Ehepaar erleiden. Es war nicht zu ermessen, wer mehr litt, die aussichtslos verliebte Lou, die zum ersten Male in ihrem bisherigen Leben das Gefühl der erotischen Liebe zu einem Mann erfährt und kennenlernt, oder ihr bis zur schweren, körperlichen Krankheit gekränkter Ehemann? In der Zeit zwischen 1892 und 1894 steigern sich diese Konflikte und Qualen bis zu dem Gedanken, sich zusammen das Leben zu nehmen. Schließlich gibt sie ihrem Mann nach, weil sie Angst um sein Leben sowie Schuldgefühle bekommt. Sie trennt sich im Februar 1894 von Ledebour. Eine körperliche Annäherung hat es aber sicher nicht gegeben. "Nach Monaten schmerzvoller Gemeinsamkeit und dazwischen hinlaufenden Trennungen, die das Alleinsein zu zweien vermeiden halfen, war der neue Standpunkt festgelegt. Nach außen hin verändert sich nichts: nach innen zu alles. In all den Jahren erfolgten viele Reisen" [Lebensrückblick, S. 210]. Lou hat sich innerlich von Friedrich Carl Andreas gelöst und wird ab jetzt ihr eigenes Leben leben, wie sie es schon immer wollte.

Georg Ledebour hat Lou die Trennung nie verziehen, sondern im Gegenteil, nur Hass für sie zurückbehalten - was natürlich nur dafür spricht, dass er sie nur begehrt, jedoch nicht geliebt haben kann. Etwa ein Jahr nach dieser Trennung heiratet er eine andere Frau. Er gehört zu den Gründern der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei, die sich im Ersten Weltkrieg von der SPD löste. Im Jahre 1924 gründete er den Sozialistischen Bund. Er emigrierte 1933 in die Schweiz und starb dort 1947 in Bern.